Regression
Resignation
2.1 Werkzeugdiebe
Sachverhalt:
Während der vergangenen Wochen wurden verstärkt Diebstähle von Fertigprodukten sowie Werkzeugen in einem Betrieb der Elektronikindustrie festgestellt.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden Personen und Fahrzeuge beim Verlassen des Werkes nicht kontrolliert. Da die Diebstähle zwischenzeitlich
eine erhebliche Schadenssumme erreicht haben, beschließt die Geschäftsführung, etwas dagegen zu tun. Der Leiter des Sicherheitsdienstes erhält
den Auftrag zu prüfen, welche Möglichkeiten es im Rahmen von Kontrollmaßnahmen gibt, unerlaubte Materialbewegungen zu unterbinden.
Aufgabe:
1. Beschreiben Sie die Möglichkeiten, die der Sicherheitsdienst im Rahmen des Tor- und Pfortendienstes hat, um die Durchführung solcher
Diebstähle durch Kontrollmaßnahmen zu erschweren.
2. Was ist bei der Durchführung der Maßnahmen, die sich aus der Beantwortung der Frage 1 ergeben, zu beachten?
Lösungsvorschlag:
Frage 1
Im Rahmen des Tor- und Pfortendienstes kann der Sicherheitsdienst Kontrollen durchführen, um das unerlaubte Verbringen von Betriebseigentum
zu verhindern.
Es gibt zwei Arten von Kontrollen: die vorbeugenden Kontrollen ohne besonderen Anlass und solche, die aus Gesetz abgeleitet sind und einen besonderen Anlass haben.
Die Voraussetzungen zur Durchführung von Kontrollen sind verschieden.
Um vertraglich vereinbarte Kontrollen durchführen zu können, ist entweder eine Betriebsvereinbarung oder eine einzelvertragliche Regelung im
Rahmen des Arbeitsvertrages oder eines Vertrages mit Geschäftspartnern
(z.B. Lieferanten) notwendig.
Auch die Arbeitsordnung, die Bestandteil des Arbeitsvertrages sein kann,
kann die Durchführung solcher Kontrollen regeln. Falls eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden muss, ist dies ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, der für alle Beschäftigten – die leitenden Angestellten sind in einem gesonderten Abschnitt ausdrücklich anzusprechen – gilt.
Die Firmenfremden, die sich vorbeugenden Kontrollen unterziehen sollen,
sind separat zu behandeln.
Entweder verpflichten sie sich vertraglich dazu (z.B. Dienstleistungsvertrag
mit der Reinigungsfirma) oder sie verpflichten sich durch den so genannten
freiwilligen Unterwerfungsakt (Einverständniserklärung zu den Kontrollen
durch Unterschrift auf dem Besucherschein).
Um aus Gesetz abgeleitete Kontrollen durchführen zu können, bedarf es eines aktuellen Anlasses (begründeter Tatverdacht) und Verstoßes gegen einen Straftatbestand. Die gesetzlichen Grundlagen bilden die so genannten „Jedermannsrechte“ sowie die Rechte des Besitzdieners (§§ 227, 229, 859,
860 BGB, §§ 32, 34 StGB). Diese Vorschriften rechtfertigen die Durchführung von Kontrollen bei Firmenangehörigen sowie bei Firmenfremden.
Frage 2
Bei der Durchführung von Kontrollen ist zu unterscheiden zwischen Kontrollen vorbeugender Natur und aus Gesetz abgeleiteten Kontrollen.
Frage 2a
Durchführung von Kontrollen vorbeugender Natur (Präventivkontrollen)
Um Personen, deren Behältnisse und Fahrzeuge kontrollieren zu können,
muss ein Auswahlverfahren durchgeführt werden (außer man kontrolliert
jede Person, was in der Praxis häufig nicht durchführbar ist). Die Auswahl
kann vom Sicherheitsdienst durchgeführt werden (jede 3. Person wird kontrolliert) oder durch technische Hilfsmittel wie z.B. Zufallsgeneratoren (Geräte, die durch Drücken eines Knopfes zufällig ein Signal optisch oder akustisch auslösen). Aus psychologischen Gründen ist der Anwendung von Zufallsgeneratoren
der Vorzug zu geben.
Ist die zu kontrollierende Person ausgewählt, sind folgende Regeln zu beachten:
– Die Zustimmung der zu kontrollierenden Person ist Voraussetzung. Kontrollen vorbeugender Natur dürfen nicht erzwungen werden.
– Alle zu kontrollierenden Personen sind gleich zu behandeln.
– Die Kontrolle ist unter Beachtung der Menschenwürde, höflich und ohne
Anwendung von Schikanen durchzuführen.
– Bei der Kontrolle von Personen und deren Behältnissen ist darauf zu
achten, dass der Kontrollvorgang in einem nicht einsehbaren Raum
durchgeführt wird.
– Es ist darauf zu achten, dass Personen- und Taschenkontrollen ausschließlich durch Personen gleichen Geschlechts durchgeführt werden.
– Wird während des Kontrollvorgangs die weitere Kontrolle verweigert, ist
diese abzubrechen. Über den Vorgang ist eine Meldung an die Leitung
des Sicherheitsdienstes zu erstellen.
– Wird im Rahmen einer Kontrolle ein Gegenstand gefunden, dessen Eigentumsverhältnisse nicht eindeutig geklärt sind, wird dieser Gegenstand bis zur Klärung durch den Sicherheitsdienst sicher aufbewahrt.
Die kontrollierte Person erhält eine unterschriebene Quittung. Über den
Vorgang wird eine Meldung an die Leitung des Sicherheitsdienstes erstellt.
Frage 2b
Durchführung von aus Gesetz abgeleiteten Kontrollen (Repressivkontrollen)
Bei der Durchführung von aus Gesetz abgeleiteten Kontrollen sind folgende
Kriterien zu berücksichtigen:
– Die Kontrolle wird durch zwei Sicherheitskräfte durchgeführt. Eine kontrolliert, die andere steht als Zeuge zur Verfügung. Auf Wunsch der zu
kontrollierenden Person können weitere Zeugen (Betriebsratsmitglied,
Vorgesetzter) zugezogen werden.
– Es dürfen nur die durch Gesetz erlaubten Besitzdiener- bzw. Jedermannsrechte angewendet werden, wobei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
(„nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“) zu beachten ist.
– Auch diese Kontrollen sind in einem nicht einsehbaren Raum durchzuführen.
– Wenn die zu kontrollierende Person sich weigert, kann die zwangsweise
Durchführung der Kontrolle durch die Polizei angekündigt werden; bei
der weiteren Weigerung ist diese auch durchzuführen.
– Auch hierbei gilt die Gleichgeschlechtlichkeit, d.h. Männer nur durch
Männer und Frauen nur durch Frauen kontrollieren lassen.
– Über den gesamten Kontrollvorgang wird eine Meldung an die Leitung
des Sicherheitsdienstes erstellt.
2.2 Der rauchende Laborant
Sachverhalt:
Sie befinden sich an einem arbeitsfreien Sonntag als Sicherheitskraft auf einem Streifengang durch Ihren Betrieb, einem Chemieunternehmen.
Im gesamten Laborgebäude besteht Rauchverbot. Es ist betrieblich vorgeschrieben, dass im Laborgebäude spezielle Schutzkleidung zu tragen ist.
Ferner ist verboten, private Behältnisse jeder Art in das Laborgebäude einzubringen. Während der Streife durch das Laborgebäude fällt Ihnen eine offenstehende Tür auf, die üblicherweise geschlossen ist. Durch die offenstehende Tür sehen Sie einen zivil gekleideten Mann, der an einem Labortisch
steht und eine Zigarette raucht. Als er Sie bemerkt, erschrickt er offensichtlich.
Sie gehen auf ihn zu und sprechen ihn an. Auf Frage erklärt er, dass er Laborant sei, Josef Müller heiße und einen Versuch zu beobachten habe. Da
Sie an diesen Angaben zweifeln, bitten Sie den unbekannten Mann um Vorlage seines Werksausweises.
Er gibt an, dass er den Werksausweis vor einigen Tagen verloren, den Verlust jedoch noch nicht gemeldet habe. Einen Passierschein habe er beim Betreten des Werkes auch nicht erhalten, da die Sicherheitskraft mit ihm persönlich gut bekannt sei. Sie bitten den Ihnen nicht bekannten Mann
nunmehr um Vorlage eines anderen Ausweispapiers. Daraufhin sucht er in
den Taschen seines Jacketts, das über einer Stuhllehne hängt.
Dabei fällt Ihnen eine auf der Sitzfläche des Stuhls stehende popfarbene
Einkaufstüte auf. Ein Ausweisdokument findet der Mann jedoch nicht. Auf
Frage gibt er an, dass die Einkaufstüte ihm gehöre. Er wisse wohl, dass es
verboten sei, private Behältnisse jeder Art in das Laborgebäude einzubringen; er habe jedoch gemeint, dass dies am Sonntag nicht so streng gehandhabt werde, da ja sonst niemand da sei.
Auf Aufforderung öffnet er die Tüte und Sie stellen fest, dass sich ein Laborgerät, wie sich später herausstellt, eine Feinwaage, darin befindet, die
deutlich mit einem Inventuretikett des Unternehmens versehen ist. Müller
erklärt, dass er die Feinwaage zu Hause verwenden wollte.
Aufgabe:
Frage 1
Welche Aufgaben hat der Streifendienst?
Frage 2
Welche Ausrüstungsgegenstände nehmen Sie in dem angeführten Fall
zweckmäßigerweise mit?
Frage 3
Welche taktischen Grundsätze beachten Sie bei Ihrem Streifengang?
Frage 4
Welche Möglichkeiten hätten Sie gehabt, wenn der Unbekannte nicht der
Aufforderung nachgekommen wäre, die Tasche zu öffnen?
Frage 5
Beschreiben Sie fallbezogen Ihre weiteren Maßnahmen und begründen Sie
Ihr Vorgehen.
Vorüberlegungen:
Der Vorfall findet an einem arbeitsfreien Sonntag statt.
Weitere Sicherheitskräfte halten sich offensichtlich nicht innerhalb des Geländes auf.
Jeder Sicherheitskraft ist bekannt, dass ein Laborgebäude besonders sicherheitsempfindlich ist. Dies einmal unter dem Gesichtspunkt der Feuer- und
Explosionsgefährdung und zum anderen unter dem Aspekt der Geheimhaltung betrieblicher Forschungsarbeit.
Ferner ist auffallend, dass der Unbekannte Zivilkleidung und nicht die betrieblich vorgeschriebene Arbeitsschutzkleidung trägt.
Daraus ergeben sich die sicherheitsrelevanten Feststellungen:
– Aufenthalt einer männlichen Person außerhalb der Arbeitszeit innerhalb
des Werksgeländes.
– Rauchen im Laborgebäude, obwohl dies aus Sicherheitsgründen verboten ist.
– Verlust des Werksausweises; ein anderes Ausweisdokument kann nicht
vorgelegt werden.
– Auffinden einer popfarbenen Einkaufstüte mit Laborgerät.
– Verstoß gegen Arbeitsschutzbedingungen.
Folgende notwendige Überlegungen sind zu treffen:
1. Bedachtes Vorgehen (Eigensicherung) und Ansprechen der Person.
2. Sofortiges Löschen der Zigarette wegen Feuer- und Explosionsgefahr
(§§ 858, 859, 860 BGB: erlaubte Selbsthilfe des Besitzers bzw. Besitzdieners).
3. Klären, wer der Unbekannte ist:
– Feststellung der Personalien
– Feststellung der Werkszugehörigkeit
– Feststellung der Aufenthaltsberechtigung am Sonntag.
4. Telefonische Überprüfung der geschilderten Zugangsmodalitäten.
5. Herausgabe bzw. Aufbewahrung der in der popfarbenen Einkaufstüte befindlichen Feinwaage (§ 32 StGB: Notwehr, §§ 858, 859, 860 BGB: erlaubte Selbsthilfe des Besitzers bzw. Besitzdieners).
6. Fertigung eines Berichts an die Leitung des Sicherheitsdienstes.
Lösungsvorschlag:
Frage 1
Im Rahmen des Streifendienstes obliegen dem Sicherheitsdienst Ordnungsund Sicherheitsaufgaben wie
– Gefahrenerkennung und -abwehr,
– Aufenthaltskontrollen,
– Verhindern von Sabotage und Sachbeschädigungen, Betriebs- und Eigentumsdelikten, Störungen des Betriebsablaufes
– Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
Frage 2
– Exgeschütztes Funksprechgerät,
– zweckmäßige Bekleidung,
– Bewaffnung,
– Taschenlampe.
Frage 3
– Nicht zu gleichen Zeiten die Kontrollpunkte anlaufen und Beobachtungshalte einlegen,
– Streifenweg variabel halten,
– auf Fremdgeräusche und materielle Veränderungen achten (Soll-Ist-Vergleich),
– Funkverbindung zur Zentrale halten und Unregelmäßigkeiten sofort
melden,
– durch bedachtes Vorgehen Eigensicherung beachten.
Frage 4
Wie der Fall dargestellt ist, liegen die Voraussetzungen einer gezielten Kontrolle vor.
Dienstkunde
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Diese Kontrolle ist aufgrund der Jedermanns- bzw. Besitzdienerrechte erzwingbar. Bei Weigerung des Unbekannten müsste er auf jeden Fall mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen. Sollte sich der dringende Verdacht
einer Straftat bestätigen, so könnte die Polizei eingeschaltet werden.
Frage 5
Als Erstes verständige ich über Funk die Leitstelle und gebe folgende Meldung ab:
„Zentrale von Alpha kommen:“ Antwort der Zentrale
„Hier Alpha mit folgender Meldung: Auf Streife im Laborgebäude wurde
die Türe zu Zimmer 112 geöffnet festgestellt. Im Labor befindet sich bisher
unbekannte männliche Person. Verstärkung erforderlich.
Kommen!“
– Antwort der Zentrale –
„Ende von Alpha!“
Diese Maßnahme treffe ich zum Zwecke der Eigensicherung. Die Leitstelle
weiß dann, wo ich mich aufhalte und dass ein besonderes Vorkommnis vorliegt. Gleichzeitig werde ich den Unbekannten aufmerksam beobachten.
Als nächste Sofortmaßnahme fordere ich den Unbekannten mit Nachdruck
auf, sofort die Zigarette zu löschen. Ich weise ihn auf die Feuer- und Explosionsgefahr hin. Diese Maßnahme dient der Beseitigung der Gefahren, die
sich aus dem Rauchen in der Rauchverbotszone ergeben.
Die nächste Maßnahme ist die Bitte um Vorlage des Werksausweises. Anhand des Werksausweises könnte Folgendes festgestellt werden:
– Firmenbezeichnung und/oder Firmen-Logo,
– Lichtbild,
– Ausweisnummer,
– Name, Vorname, Geburtsdatum,
– Personalnummer,
– Betrieb oder Abteilung,
– Ausstellungsdatum,
– Gültigkeitsvermerk,
– Unterschrift.
Da der Unbekannte weder den Werksausweis noch ein anderes Ausweisdokument vorweisen kann, ist meine Frage nach dem Namen und Vornamen
sowie dem Zweck seines Aufenthaltes richtig. Ich würde ihn jedoch nach
dem Namen seines Vorgesetzten fragen. Diese Angaben, aber auch seine
6 Fallbeispiele mit Lösungsvorschlägen
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Schilderung, wie er das Werksgelände betreten hat, lasse ich über Funk bei
der Leitstelle überprüfen.
Unabhängig von dem Überprüfungsergebnis werde ich den Unbekannten
nach Eintreffen der Verstärkung mit zum Büro des Sicherheitsdienstes bitten. Dort kann die Identität des Unbekannten durch die möglicherweise
herbeigerufene Polizei festgestellt werden. Diese Maßnahme kann ich nach
den Bestimmungen der „Vorläufigen Festnahme“ nach § 127 Abs. 1 StPO
begründen.
Da die Feinwaage durch das Inventuretikett eindeutig als betriebseigen zu
erkennen ist und der Unbekannte offensichtlich keinen Leihschein vorweisen kann, wird das Gerät von mir auch gegen den Willen des Unbekannten
in Verwahrung genommen. Hier wende ich die gesetzlichen Bestimmungen
der §§ 858, 859, 860 BGB „Selbsthilfe des Besitzers“ an.
Auf dem Dienstzimmer protokolliere ich den gesamten Vorgang und die
Angaben des Unbekannten. Sollte er Firmenangehöriger sein, fordere ich
ihn auf, sich sofort am Montag einen Ersatzausweis ausstellen zu lassen.
In einem ausführlichen Bericht schreibe ich die von mir veranlassten Maßnahmen nieder. Die in Verwahrung genommene Waage und den Bericht gebe ich dem Schichtführer ab. Anschließend setze ich meinen Streifengang
fort